Freitag, 27. Juni 2008

Der letzte...

hier mein letzter Rundbrief:

Liebe Unterstützer, liebe Freunde und Bekannte,

meine Zeit hier in Argentinien geht ihrem Ende zu. Es war eine schöne Zeit und ich bin dankbar für die vielen Erlebnisse und Erfahrungen, die ich machen durfte. Doch ich merke, dass es für mich Zeit ist heimzukommen, wieder deutsch zu sprechen, alles zu verstehen, meine Familie wieder zu sehen und zu studieren.

Inzwischen bin ich zehn Monate in Argentinien. Im Großen und Ganzen sind meine Erlebnisse nicht zu weit von meinen Erwartungen abgewichen, wahrscheinlich, weil ich gar nicht so viele Erwartungen hatte. Ich wurde nur manchmal mit der Aussage konfrontiert, so ein kleiner Einsatz hier bringt doch nichts und ist doch weniger als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Jedoch ist für mich jeder Moment, in dem ich einem der alten Menschen helfen konnte, oder wenn ich ein bisschen Last von seinem Herzen nehmen konnte, wertvoll. Sinnvoll ist mein Einsatz sicher auch dann, wenn er nicht so persönlich ist: Bei der Pflege der Gartenanlage und der Tiere, bei der Ernte und beim Einkochen der Vorräte in der Küche. Das Altenheim (und auch die Kirchengemeinde) haben immer wieder finanzielle Probleme, so dass unsere Arbeit auch hier hilft. Wichtig erscheint es mir, dass die Alten – auch die, die mehr oder weniger dement sind – sich wohl fühlen und ihren Lebensabend in Würde verbringen können, unabhängig davon, ob jemand für sie ausreichend bezahlen kann oder nicht.

Ein verlorenes Leben ist ein verlorenes Leben zu viel. Dies gilt für mich besonders, wenn ich an den sozialen Einsatz denke, den die Volontäre in Buenos Aires leisten. Dort ist die Armut und somit auch Gewalt und Kriminalität noch sehr viel größer als auf dem Land, wo ich arbeite. So ist jedes Kind, das sie dort von der Straße holen können, jede Frau, der sie zu ihren Rechten verhelfen können und jede Zukunft, die durch z.B. Bäckereiwerkstätten oder Schreinereien gesichert werden kann, ein Leben, das nicht verloren geht.

Als ich mich für den freiwilligen Friedensdienst im Ausland beworben habe, war mir nicht klar, warum es ein Friedensdienst ist. Heute sehe ich zwei Aspekte:

  1. im weitesten Sinne gehört es auch zum Frieden, benachteiligten Menschen zu helfen und soziale Ungerechtigkeiten auszugleichen
  2. Friedensarbeit heißt auch: Menschen und ihre Kultur kennen lernen, und so die Menschen verstehen zu lernen und so als ein „Kulturbotschafter“ zu wirken

Aus meiner Sicht hat mir dieses Jahr sehr viel gebracht nicht nur sprachlich (Inzwischen bereitet es mir überhaupt keine Probleme mehr Spanisch zu sprechen) sondern auch menschlich. Ich habe viele alte und junge Argentinier kennen gelernt, ich sehe ihre Probleme und Möglichkeiten, ich verstehe ihre Wünsche und Hoffnungen; und ich habe mich sehr wohl gefühlt bei ihnen.

Ich hatte das Glück, auch viele Jugendliche kennen zu lernen, die nichts mit dem Projekt zu tun haben, die aus armen Familien kommen und wahrscheinlich nie die Chance haben werden, nach Europa reisen zu können. Aber auch sie haben mich kennen gelernt, sie haben vieles gefragt und somit ein Stück von Deutschland erfahren. Vielleicht ist auch dies ein kleines Puzzleteil aus der großen Arbeit für den Frieden.

Besonders beeindruckend ist der offensichtliche, unglaubliche Kontrast zwischen Arm und Reich. Man kann so vor den feinsten Hotels und Restaurants bettelnde Menschen sehen, in den reichesten Vierteln sieht man die Kartoneros, also Müllsammler. Die Kartoneros werden morgens und abends immer mit einem Extrazug in die Hauptstadt rein und abends wieder raus gefahren.

Traurig fand ich eine Szene vor einem amerikanischen Schnellrestaurant, dort wartete ein Mann Seite an Seite mit zahlreichen Straßenhunden darauf, dass der Müll raus gestellt wurde, und er ein paar weggeworfene Hamburger ergattern konnte.

In letzter Zeit habe ich angefangen mich mehr für Geschichten und Erzählungen aus der Region zu interessieren. So wird von einem Großgrundbesitzer z.B. gesagt, dass er in seinem Keller eine Kobra hat, diese hat er aus einem Pakt mit dem Teufel und jedes Jahr muss er dieser Kobra ein Menschleben opfern. Solange er dies tut, wird er immer viel Geld haben. Die große Frage, die sich mir jetzt stellt, ist warum diese Geschichte erfunden wurde und von wem. Von dem Arbeitgeber um seinen Reichtum zu erklären und unanfechtbar darzustellen, oder von den Arbeitern um ihren Arbeitgeber als böse darzustellen. Für mich liegt die Quelle des Reichtums eher in der Ausbeutung der Arbeiter und den unglaublichen Effizienzsteigerungen dank Maschinen und Gentechnologie. Es gibt zum Beispiel seit ungefähr 4 Jahren gentechnisch veränderte Bäume, die nicht mehr in einer typischen Baumform (kugelartig) wachsen, sondern jetzt auch an Drähten so festgebunden werden können, dass sie scheibenartig wachsen. Dabei gibt der Baum fast die gleiche Anzahl an Früchten, aber die Bäume können viel näher aneinander gestellt werden. Das bedeutet fast das Doppelte an Gewinn für den Landbesitzer. Wie auch in vielen anderen Wissenschaftszweigen liegen die Patente für die gentechnisch veränderten Bäume bei großen Firmen aus Industrienationen. Kleine Bauern können sich die Neupflanzungen zwar leisten, sind aber danach gezwungen diese Äpfel an bestimmte Exporteure zu verkaufen. Expofrut ist wahrscheinlich die führende Firma in Sachen Obstanbau in der Region, sie haben unter anderem eine Apfelsorte, die einen Monat vor den anderen Äpfeln reif ist. Dies verschafft ihnen den großen Vorteil jährlich einen Monat vor den Konkurrenten die ersten frischen Äpfel auf den Markt bringen zu können. Die Konkurrenten können nur mit den „alten“ Äpfeln aus der letzten Saison aufwarten. Dazu werden die Äpfel direkt nach der Ernte in riesigen Kühlkammern mit 0,02 Grad gelagert. In diesen Kammern reifen die Äpfel und Birnen in einem halben Jahr so viel wie im Sommer an einem Tag; mit chemischen Konservierungsstoffen, natürlich. Ein Apfel direkt aus solch einer Kammer schmeckt echt abartig.

Das ganze soll nicht heißen, dass man argentinische Äpfel boykottieren sollte, denn in anderen Ländern herrschen sicherlich oft schlimmere Bedingungen für die Arbeiter. Ich wollte nur ein wenig über den Obstanbau in der Region „Rio Negro“ aufklären. Ab jetzt werde ich mich jedes Mal, wenn ich in einem europäischen Supermarkt einen Apfel kaufe, an die Äpfel hier erinnern und an die ungefähr dreimonatige Reise, die der Apfel hinter sich hat.

Auch wenn ich in dem ganzen Jahr mehr als 3000 Fotos geschossen habe, konnte ich die eindrucksvollsten Erlebnisse, Geräusche, Gerüche und Geschmäcke nur in meinem Kopf speichern.

Argentinien, ich werde dich vermissen!

Liebe Grüße und Besitos,

Daniel Heintges

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